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Dunkelblau

Kino-Oper

Deutschlandradio Kultur – 2008

Texte : uli aumüller

Son : Christian Calon


Sprecherin:    Katharina Burowa

Sprecher:       Martin Engler


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bio

Dunkelblau

Kino-Oper


Exposé von Uli Aumüller und Christian Calon

Dieses Exposé beschreibt den ersten Teil eines größeren Projektes, an dessen Ende ein tatsächliches Kino für die Ohren entstehen soll, allerdings nicht nur für die Ohren, sondern eben auch die Vision einer Leinwand – also ein Kinofilm für die Ohren. Diese Idee einer Verknüpfung der cineastischen Narration mit mehrkanaliger Elektroakustik scheint jedenfalls so nahe liegend, dass sie bisher von niemandem konsequent versucht worden wäre. So nahe liegend, dass jedenfalls in der Filmwelt, in der ich dieses Projekt vorgestellt habe - bislang jedenfalls - ich niemand gefunden habe, der überhaupt wirklich verstanden hätte, wovon eigentlich die Rede ist: Von einer Verknüpfung des Kinos mit der Klangkunst, nämlich der Klangkunst, die zu ihrer Realisierung mindestens einer 8-kanaligen Lautsprecherinstallation bedarf - und eine solche Installation ist mittlerweile eigentlich in jedem besseren Kino Mindeststandard.

In traditioneller Begrifflichkeit denken wir also an eine Oper, eine Kino-Oper, die nicht, wie bei Opernverfilmungen üblich, lauter Geigen zeigt, die man nicht sieht, und Musiker in Fräcken auftreten lässt, die man ebenso nicht sieht - und Menschen im Kino zeigt, die sich so verhalten wie auf einer Opernbühne, obwohl wir uns im Kino befinden - sondern wir denken an eine Oper, deren Musik und Instrumentierung sich genau aus der musikalischen Gattung speist, die gleichzeitig mit dem Kino das Licht der Welt erblickt hat, nämlich der elektroakustischen Musik - deren Grundmaterialien aus den Geräuschen stammt, die durch die Geschichte des Films, seinen Bildern, seinen Handlungssträngen motiviert sind - und die dann im Verlauf der Geschichte immer mehr ihr Eigenleben entfalten. (Spiel mir das Lied vom Tod - der Anfang dieses Films - wäre für das, was uns vorschwebt, ein wunderschönes Beispiel - würde es nur im Verlauf des Films genauso weitergehen – würde sich dieser Film eben konsequent als Oper entfalten – aber es blieb nur bei den ersten 10 Minuten).

Die Handlung unserer Kino-Oper soll einfach sein - also keine komplizierte Narration - aber eben eine Verstrickung aus Narration und Musik - in der Weise auch, dass die Narration musikalischen Strukturen folgt - in ihren Details und in der großen Form (in unserem Fall sehr frei gehandhabt: die Sonate – zwei Themen, ein männliches und ein weibliches und deren Verschmelzung) – und es sollen aus diesem Grund eher relativ statische Momente gestaltet werden, die musikalisch ausgeleuchtet werden, ganz selten nur bewegte „Action“. Uns schweben drei solcher Stationen vor, Akte wenn man so will, die dem bekannten boy-meets-girl-Schema folgen.


Akt 1: Ein junger Mann richtet sich in einer einsam gelegenen Fischerhütte ein - er möchte sich zurückziehen, Ruhe haben, zu sich finden - irgendetwas hat er erlebt, man weiß nicht wirklich was, es hat wohl mit Liebesdingen zu tun, es gibt Anrufe auf sein Mobiltelefon von mehreren Frauen - bis er das Telefon ausschaltet. Ein Unwetter zieht auf. Die Fenster - die Türen klappern, das Reetdach pfeift - die Bäume knistern - der Mann setzt sich an einen Tisch - möchte etwas zu Papier bringen - schaltet das Radio ein - schaltet es wieder aus - Fetzen von Erinnerungen, von Albträumen überrennen ihn - von Fantasien – es gibt gewisse Ähnlichkeiten zu den Visionen des Heiligen Antonius - etwas in dieser Richtung - weswegen wir diese Figur provisorisch erst einmal Anton genannt haben.


Akt 2: Anton unternimmt am nächsten Morgen einen Spaziergang am Meer - es ist strahlend blauer Himmel, herrliche Sonne. In einem Cafe begegnet ihm eine junge Frau - die sehr viel redet - die ihm gerade recht kommt, die ihm gefällt - mit der er den Spaziergang fortsetzt - während sie die ganze Zeit redet - das ganze in einer Szenerie, wie man sie aus so manchem Eric Rohmer Sommerfilm kennt - und sie redet von der Zeit, der Liebe, dem Zufall, dem Schicksal, der Hingabe. Vorbild ist in diesem Fall ein lebendes Exemplar der Gattung, mit der ich einmal sehr intim liiert war, eine Quebequois - die selbst während der intimsten Momente unseres Liebeslebens nicht aufhören konnte, zu reden und zu reden und zu reden - und zwar nicht irgendwelches Zeug, das man durch das eine Ohr hinein und durch das andere wieder hinaushören kann - sondern Philosophie, Psychologie - Lacan, Derrida, Heidegger und ich weiß nicht was - jedenfalls analysierte sie haarklein, warum sie in diesem Augenblick keinen Orgasmus bekam - was damit zu tun hatte, dass ihr verstorbener Vater ihre Mutter betrogen habe - und zwar nicht, weil er es tat - sondern wie er es tat - und wie das auf die Seele einer Tochter in der dritten präpubertären Phase wirkte und so weiter und so weiter und genauso erfuhr ich wirklich zeitsynchron, warum besagter Orgasmus dann doch kam. So weit wollen Christian Calon und ich es allerdings nicht treiben - aber jedenfalls soll nicht ganz klar sein, ob die Frau eine Macke hat oder ein Genie ist - von daher könnte sie Sybille heißen oder einfach Pythia.


Akt 3: Die beiden – Sybille und Anton - in der Hütte - es ist wieder Nacht - es bahnt sich wieder ein Sturm an - der einen Stromausfall auslöst - man sieht also nicht, dass sich die beiden die Kleider vom Leib reißen - vielleicht zünden sie ein paar Kerzen an, stoßen diese aber um - kurzum - draußen und drinnen tobt es - ein doppelter Orgasmus förmlich - und noch jeder oder jede, dem wir von der Idee dieser Szene erzählt haben, hat uns für Angeber gehalten, als wir meinten, dass dieser Orgasmus in etwa 20 Minuten dauern werde - das könne ja wohl nicht sein, das sei überhaupt nicht möglich. Doch, haben wir dann immer zur Antwort gegeben - wenn man sich vorstellt, dass ein Orgasmus wie ein Blitz einen Kontakt herstellt zwischen Himmel und Erde - und man sich vorstellen solle, diesen Blitz zu nehmen und ihn – ein eigentlich vertikales Ereignis - einfach flach zu legen - in die Horizontale gleichsam zu spiegeln, dann sind 20 Minuten für die Ausbreitung seiner Feinstruktur eher knapp bemessen. Wir sind überzeugt, dass zumindest 50% aller ernst zu nehmenden Musik aus nichts anderem besteht (flach gelegte Blitze, gestretchte Orgasmen) - und in diesem besonderen Fall dient die Musik dazu, die Vorstellungsgabe der Zuschauer zu beflügeln, die während dieser Phase des Films nichts sehen - weil der Strom ja ausgefallen ist und die Kerzen umgestoßen werden – die Zuschauer werden also nur hören – d.h., sie sollen hören, was sie vor ihren inneren Augen sehen - einen Porno im Dunkeln, sicher (hoffen wir) viel schöner, sinnlicher, haptischer als alles, was im Kino auf diesem Gebiet bislang zu sehen war - und in diesem Fall ist gar nichts zu sehen - ab und an ein Blitzschlag, ein Wetterleuchten, das ist alles, Andeutungen im Halbdunklen, mehr nicht.


© Christian Calon / Uli Aumüller Berlin / Montréal 2007